Mittwoch, März 24, 2004

Mu`ammar al-Qadhafis Antwort auf Islamisten

findet sich in diesem Artikel auf seiner Homepage. Eine sehr interessante und schlaue Argumentation von genau dem radikal religiösem islamischen Standpunkt aus, den er schon immer vertreten hat und mit dem er und sein "Bund der Freien Offiziere" am 1. September 1969 gegen den libyschen König Idris as-Senussi putschte. Zum einen erklärt er, daß für ihn islamische Bewegungen, die Führungsansprüche aus Erblinien anerkennen und fördern, Ketzerei sind. Hier schlägt er den Bogen zu den Kalifatsystemen (und im Endeffekt auch zu dem von ihm selbst abgesetzten König), für deren Führungsansprüche er keine religiöse Legitimation im Koran sieht und die er daher strikt ablehnt. Er erklärt das sogar mit Sinn für Humor:

"Der Prophet hat niemals einen Stellvertreter oder einen Nachfolger eingeführt. Wir haben nirgends gehört, daß Gott Aaron zu einem Stellvertretungspropheten oder Abgesandten für Moses gemacht hätte. "

Wichtig ist hier, daß Ibn Ladin sich ja in der Nachfolgeschaft der orthodoxen arabischen Kalifenfamilien sieht, denen er ja tatsächlich entstammt.
Zum anderen erklärt al-Qadhafi aber auch, daß er durchaus gegen die westliche Unzüchtigkeit und Idolisierung (Anbetung von anderen Werten als die Allahs) kämpft - allerdings tue er das aus einem anderen Standpunkt: Er habe eine zivilisierte Gesellschaft (und damit meint er nicht die westliche!) zu verteidigen. Dies schließe den Kampf gegen Gewalttätigkeit (der islamistischen Terroristen) jedoch ebenso ein, wie der gegen Maßlosigkeit (des Westens) und Ketzerei (der Islamisten bzw. der arabischen Adelsherrscher).
Insoweit ist eigentlich al-Qadhafis momentaner Kurs kein plötzlicher Gesinnungswechsel, wie er in den westlichen Medien oft verstanden und entsprechend mißtrauisch kommentiert wird, sondern eher eine offenbar notwendig gewordene Korrektur der Methoden. Ich finde den Mann zumindest interessant und, wenn man ihn ganz sauber innerhalb seines Kulturkontextes und Religionsverständnis betrachtet, bewundernswert idealistisch. Man kann sehr gut nicht einer Meinung mit ihm sein darüber, wie eine Gesellschaft funktionieren sollte, aber man kann ihm nicht vorwerfen, unehrlich zu sein oder eine "hidden agenda" zu verfolgen.

von Jens Scholz   direct link