Donnerstag, August 18, 2005
Ich gebs zu: Ich bin langweilig
Ich war sechs Jahre alt, als ich das erste Mal langweilig war. Zuerst hab ichs nur gemacht, weil alle anderen auch langweilig waren und sagten "Komm! Probiers doch mal!" und irgendwann konnte ich nicht mehr damit aufhören. Ich habe am Ende nicht mehr gemerkt, daß ich langweilig war, habe mir eingeredet, ich könnte jederzeit aufhören. Das war eine Lüge, ich kann es nicht. Ich habe mich so tief verstrickt ins langweilig sein, daß ich nicht mehr rauskomme.
Ich bin ungefähr ale drei Jahre umgezogen, aber habe nie die Gelegenheit genutzt, an meinem neuen Wohnort zu behaupten, mein Vater sei Geheimagent oder ein wichtiger Kronzeuge und wir leben unter falschem Namen, weil uns die Russen oder die Mafia auf den Fersen ist. Ich habe einen Zwillingsbruder, aber wir haben nie all die lustigen Dinge gemacht, die Zwillinge laut tausender Kinderbücher nunmal machen wie Plätze tauschen, füreinander Klausuren schreiben oder den Führerschein leihen, sich bei Freundinnen vertreten, Banken überfallen und sich ein bombensicheres Alibi verschaffen - das typische halt. Ich habe einige echt cool aussehnde Narben, aber die sind von völlig unspektakulären Ereignissen wie daß ich gegen eine Klotür gerannt bin (die Narbe auf der Stirn) als Baby oder weil ich halb blind einen zu niedrigen Glastisch übersehen habe, der unterhalb meines Gesichtsfeldes stand (Schienbein) oder weil ich echt so dämlich war, ein Taschenmesser zu fangen, das mit beim entgraten von Modellbauteilen aus der Hand gerutscht ist (Handfläche).
Ich habe weder extreme politische Meinungen, mit denen ich auffallen kann, noch besonders schräge religiöse Vorstellungen. Ich bin - und selbst jetzt, mit diesem Geständnis, werde ich wahrscheinlich überhaupt niemanden beeindrucken - notorisch langweilig.
Uff. Jetzt ist es raus. Ich fühl mich schon viel mehr genau wie vorher. von Jens Scholz direct link
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