Mittwoch, Februar 05, 2003
Life four: Unter Christen
Manchmal überlege ich ja, ob das Ignoranz ist, dass ich immer denke, keine Extremsituationen zu kennen, aber doch erstaunte Kommentare ernte, wenn ich von den ein oder anderen Begebenheiten und Situationen erzähle, in denen ich zum Teil lange Jahre gewesen bin. So auch zu meiner Zeit in einem katholischen Internat, das von sehr konservativen, missionarischen Ordensleuten geführt wird (noch, es schliesst zum Ende des laufenden Schuljahres). Ich war dort von der sechsten bis zum Ende der neunten Klasse und die Zeit dort war geprägt von Widersprüchlichkeiten. Unberührt von pädagogischen Erkenntnissen wurde mit nahezu fanatischer Christlichkeit ein Weltbild vermittelt, das sich um die ständige Angst vor Sünden und Versuchungen drehte, das mit einer gewissen Endzeitstimmung die Notwendigkeit der aktiven Christianisierung der Ungläubigen erklärte und in dem Vergnügen von vorneherein mal verdächtig war, weswegen man sich dann heimlich raus schlich und dadurch natürlich die ständig propagierte Schlechtigkeit der Welt bestätigte. Ein autoritärer, repressiver "Erziehungsstil" widersprach dann auch dem ganzen Rest der christlichen Ideale: Man sang in den unzäligen Gottesdiensten (3x in der Woche) von Vertrauen und Liebe und wurde ständig misstrauisch bespitzelt. Nicht selten war man dann natürlich auch selbst Schuld, wenn man mal von den Grösseren (und es waren fast alle grösser) getrietzt wurde, da wird man schon seinen Teil dazu beigetragen haben und die angebotene Lösung war, sich von den Mitschülern fernzuhalten, die einem im Vorbeigehen einen blauen Fleck auf den Arm schlagen oder halt einfach nachzugeben, wenn man von der Tischtennisplatte verjagt wird, an der man gerade gespielt hat. Ich habe keine allzu schlechten Erinnerungen, bis auf eine: Ich weiss, dass ich mir irgendwann gegen Ende der achten Klasse vorgenommen hatte, nicht zu vergessen, dass ich es hasste, dort zu sein und dass ich das auch in Zukunft nie vergessen wollte, egal, wie sehr die Erinnerung mir das irgendwann relativiert. Diese vorsätzliche bewusste Warnung an mich selbst ist es, die mich jetzt auch davon abhält, von lustigen Faschingsfeiern, hausinternen Fussball- und Tischtennisturnieren und interessanten Gesprächen mit Oberstuflern zu berichten. Das waren die Ausnahmen. Und die erwähnten Gespräche behandelten u.a. Fragen zur täglichen Erfahrung von Bigotterie, christlicher Schuld- und Angstkultur und der Verzweiflung darüber, dieser nicht viel entgegensetzen zu können. Allerdings habe ich den Schulleiter, Pater Robert, immer respektiert, denn er war in seiner Weltsicht weitaus pragmatischer. Klar, er stand ebenfalls voll hinter dieser seltsamen christlichen Missionsmystik aus der Zeit vor dem letzten Konzil, aber er war uns gegenüber immer bemüht, fair und ausgleichend zu sein. Er erreichte uns freilich auch nicht, aber er hatte eine Integrität, die sich nicht ausnutzen liess, auch nicht gegen uns. Ich bin ein wenig erschrocken darüber, heute festgestellt zu haben, dass er am 13. August 2001 offenbar sehr plötzlich verstorben ist. Ich habe das letzte mal etwa ein Jahr zuvor von ihm gehört, als er mir eine nette Mail schrieb, weil ich ihm zur damals neuen Internats-Website gratulierte. Jedenfalls weiss ich, wie der konservativere Flügel der katholischen Kirche versucht, Kindern und Jugendlichen eine Prägung auf ihre Werte und Moralvorstellungen unterzujubeln. Zum Teil passiert das mit dreisten Lügen und Falschinformationen (was Sexualität angeht natürlich vor allem z.B. aber auch genauso wenig subtil in Bereichen wie Politik, Meinungsfreiheit und alternativen Religionen und Lebensstilen). Wir hatten, um einen Raum zum Tee- und Kaffetrinken sowie um eine abendliche Stunde länger aufbleiben zu können, eine Schönstatt-Jugend-Gruppe gegründet, die sich deswegen zum Glück nur vordergründig mit dem Beschäftigte, was diese Jugendorganisation, die z.B. nicht ohne Grund starke Unterstützung vom Opus Dei ("Dein Leib ist Dein Feind!") erhält, so unter die Leute brachte. Allerdings waren wir natürlich dennoch in allen offiziellen Verteilern und besuchten jede Menge Veranstaltungen der Schönstätter. Eine schräge Mischung aus triefigstem Marienkult, bedenklichem Personenkult um den Gründer Pater Kentenich und das alles ideologisch unterlegt mit einer erzkonservativen, absolut intoleranten missionarischen Grundhaltung wird da gelebt und es ist erstaunlich, wie sehr man sich dort einerseits der Warnung vor und Bekämpfung von Sekten und alternativen Lebensstilen widmet, aber selbst in Verhalten, Organisation und einer Gehirnwäsche ähnlichen Dauerideologisierung (die bis zur Abkehr von den Eltern führen kann), genau die Methodik anwendet, die man Sekten vorwirft. Aber was solls, ich bin gut durchgekommen, war Ministrant (auf dem Bild oben 2.v.l. - mit der fetten Brille), kenne den Ablauf der verschiedenen Eucharistiefeiern (und nicht nur die) auswendig, lernte, Dietriche zu bauen und zu benutzen und inzwischen bin ich schon lange aus der Kirche ausgetreten und war drei Jahre im Vorstand eines Vereins, der sich mit Heidentum und Naturreligionen beschäftigt. So it's gone for good. Five to go. Lied: Roger Waters, What God Wants I-III Life 1, Life 2, Life 3.
von Jens Scholz direct link
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.. jens scholz ..personal news in undefinierter dringlichkeit, wichtigkeit oder thematik .. ein subjektives log als experiment, wie lange dinge, die wichtig erscheinen, es in wirklichkeit bleiben ..
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