Mittwoch, März 30, 2005
Das arbeitsscheue Gesindel
Gestern übrigens den ganzen Tag in den Radionachrichten: Die Mehrheit der Arbeitslosen in Deutschland würde für eine Arbeitsstelle nicht den Wohnort wechseln! Boah! Denen gehts offensichtlich noch viel zu gut, was? Halten sich einfach nicht an die neue Vorfahrtsregel für Arbeit, die unser Arbeitgeber/Bundespräsident da letztens ausgegeben hat. Na, da wird ja wohl noch was zu kürzen sein, damit das Pack spurt!
Andererseits, schauen wir uns doch mal an, was wirklich hinter diesem vermeintlichen Beweis für die Mitnahmementalität unter den Arbeitslosen steckt. Ein etwas differenzierteres Ergebnis der Umfrage findet sich bei der Berliner Morgenpost zwischen den Zeilen. Gefragt wurden gerade mal 1000 Menschen. Von diesen sind von den ohnehin nur knapp über 60% Unwilligen 71% über 55 Jahre alt, außerdem sind mit 45% fast die Hälfte bereit, längere Anfahrtszeiten auf sich zu nehmen.
Meine Lesart dieser Zahlen sieht daher völlig anders aus, als die gestern überall verbreitete: Ich lese, daß jeder dritte Arbeitslose sogar seine Heimatstadt und das Heimatbundesland verlassen würde, nur um eine Stelle zu bekommen. Je älter sie sind, desto schwieriger fällt es natürlich, die gewohnte Umgebung zu verlassen, dennoch würden sie zumindest pendeln. Was völlig fehlt ist die Untersuchung, was einen Ortswechsel für zwei Drittel der Befragten so schwierig macht. Wenn man ein intaktes soziales Umfeld hat, weil z.B. die Familie in der Näher wohnt oder diese alteingesessen in der Region ist, wäre es hirnrissig, sich neben der schwierigen Situation der Arbeitslosigkeit auch noch zu isolieren, indem man dort fortzieht, wo man die Menschen kennt und sich zu Hause fühlt. Dann gibt es sicher einen erklecklichen Anteil Menschen, deren Partner arbeitet: Soll man sich also Trennen oder eine Wochenendbeziehung führen, nur weil man dann schneller einen Arbeitsplatz bekommen könnte? Und was ist mit denen, die Kinder haben? Schule ist ja dummerweise Ländersache und ich weiß aus eigener Erfahrung, daß ein Umzug über Landesgrenzen fast zwangsläufig zu einer Ehrenrunde führt, geschweige denn, daß es für Kinder viel schwieriger ist, aus einem sozialen Umfeld gerissen zu werden. Letztendlich wurde auch nicht nachgefragt, ob sich die Ablehnenden einen Umzug eventuell einfach nicht leisten können.
Insoweit ist mein Fazit aus dieser Umfrage, daß die Arbeitslosen selbst eigentlich so flexibel sind, wie es ihre Situation zulässt, sie aber durchaus in ihrer Entscheidung nicht ausschließlich nach dem "Hauptsache Arbeit" Prinzip vorgehen - und das finde ich ist eine sehr viel gesündere Einstellung als die, die ihnen zwischen den Zeilen von den Medien und Politikern unterstellt wird. von Jens Scholz direct link
Kommentare:
Kommentar veröffentlichen