Donnerstag, November 02, 2006
Mir egal wie ihr es nennt
Ich unterhalte mich seit einiger Zeit vermehrt über Geschäftsmodelle. Veraltete Geschäftsmodelle, um genau zu sein. Zwangsläufig landet man dabei immer bei den Paradebeispielen Journalismus, Fernsehen und Musikindustrie. Bei diesen drei Themen habe ich das Gefühl, dem Verfall geradezu zuschauen zu können: Die Gründe sind bei allen dreien etwas nterschiedlich. Der Journalismus killt sich auf ganzfaszinierende Weise selbst, weil er seinen USP mehr und mehr aufgibt: Die journalistische Qualität. In meiner Bloggersicht zeigen sich in der Entwicklung schon alleine der jüngsten Zeit zwei Evolutionsstufen: Bis vor etwa einem Jahr hat die Nachrichtenindustrie Blogger noch links liegen gelassen, ab Ende 2005 allerdings war es kein Problem mehr für Blogs, ihre Themen in die Presse drücken zu können. Heute muss ich sagen,interessiert es mich nicht mehr, daß ein Thema, das mir wichtig ist, von Spon oder Zeit oder sonst einem klassischen Medium aufgegriffen wird, weil: Ich erreiche darüber niemanden, die Leute kommen direkt über Suchmaschinen, über Online-Communities, Netzwerke, Mailweiterleitung und natürlich über andere Blogs. Ich kann für michselbst feststellen, daß ich im Gegensatz zu noch vor zwei Jahren, kaum mehr "klassische" journalistische Medien nutze - zuvor habe ich Spon täglich gelesen - und das nicht mit Absicht sondern weil ich feststellte, daß ich die Sachen dort entweder schon wusste oder was ärgerlicher war, nach etwas googlen herauskommt, daß die Artikel schlampig und oberflächlich recherchiert sind. Ich rate daher mal, daß spätestens in einem weiteren halben Jahr die ersten Online-Redaktionen komplett geschlossen werden. Dann nämlich, wenn die Netzintelligenz den letzten USP, die Nachhaltigkeit der Qualität, aufgeholt hat. Der Grund hierfür ist nämlich nicht Qualität sondern Quantität: Blogger bloggen in ihrer Freizeit, Redakteure bekommen ihre Zeit bezahlt. Der Abbau der Redaktionen und das Wachstum der aktiven Netznutzer wird das daher schnell nivellieren. Zum Fernsehen: Ein Freund von mir war letztens in München auf einer Veranstaltung für Mobile Medien und berichtete ernüchtert von der dortigen völligen Ahnungslosigkeit der Medienchefs. Es herrscht dort tatsächlich die Meinung, der einzige wichtige Trend der Zukunft ist, Fernsehinhalte aufs Handy zu schaufeln, sogar mit der Argumentation, der Nutzer will auf keinen Fall bekannte Rezipienzmechanismen verändern und wünscht daher genau dasselbe auf Handys und Palms zu sehen, was er aus dem Fernsehen kennt. So lange also in Fernsehsendern solche Parolen in Umlauf sind wundert mich nicht, daß man auch im TV-Sektor das gefühlt hat, einem Greis beim Blitzveraltern zuzuschauen. Der Effekt ist derselbe wie beim Journalismus: Ich brauche Fernsehen nicht mehr. Der Dialog wird mir verweigert (da er nur darin besteht, für viel zu teure Gebühren dumme Quizfragen zu beantworten, die so leicht sind, daß man auf jeden Fall anzurufen imstande ist), was dazu führt, daß die Relevanz für mich als Konsumenten (der ich ja durchaus auch gerne sein will) in Schallgeschwindigkeit in den Keller stürzt. Diese Geschwindigkeit war vor einigen Jahren noch gar nicht so bemerkbar, aber seit sich nun immer mehr zeitgemäße, gute Quellen für Information, Unterhaltung und somit immer mehr gute Alternativen zum dagegen extrem eingeschränkten Fernsehprogramm entwickeln, weil es inzwischen immer mehr interaktive, dialogbereite Medienformen gibt, habe ich den Eindruck, ich schaue einer Leiche beim Verwesen im Zeitraffer zu. Musikindustrie: Die ist ja nun dran. Da brauch ich ja schon gar nicht mehr erklären, warum. Niemand braucht mehr einen klassischen Plattenvertrag. Im Gegenteil: Inzwischen ist "Bekannt geworden in Myspace" eine Dauerfloskel, die Creative Commons Charts stehen praktisch vor der Tür, die Industrie klammert sich dagegen an die Totgeburt DRM, mit der sie vergeblich versucht, ihre schrumpfenden Margen aus der inzwischen ja völlig veralteten CD zu retten. Den Künstlern dämmert, daß sie mit weniger mehr erreichen, direkte Kommunikation statt PR-Mittelsmänner mehr bringt und weniger kostet und, da die kommenden Musikvertriebskanäle schon längst angelegt sind, auch echte Alternativen zum von der Medienindustrie abgerippt werden haben. Das ganze hat übrigens auch etwas mit dem Eintrag zur Überwachung zu tun. Da ist es ähnlich: Der Überwachungsstaat ist alte Industrie. Auch der Staat, der sich vor Interaktivität drückt, sich gegen Dialog sperrt und mir mit unauthentischer PR Aktivität vorgaukelt wo es nur Treten auf der Stelle gibt, wird genau deswegen immer mehr von der eigentlichen Entwicklung der Gesellschaft abgehängt. Er hält an Konzepten und Weltbildern der vorigen Jahrhunderts fest und lässt uns völlig alleine, wenn es darum geht, herauszufinden, wie wir unsere Gemeinschaft in diesem Land eigentlich so gestalten können, daß sich auch jeder einigermaßen darin wohlfühlen kann. Ok für mich, nervig wirds nur dann, wenn er einem auch noch Stücke zwischen die Beine wirft. Frag einfach mal irgendeinen der gemeinnützigen Vereine, die inzwischen einen Großteil der Arbeit machen, die eigentlich Aufgabe der Kommunen sind. Die werden nicht unterstützt sondern tragen teure und zeitraubende Kämpfe mit Finanz- und anderen Ämtern und profilierungssüchtigen oder gesinnungsverbohrten Lokalpolitikern aus. Sprich: Auch Politik wird immer irrelevanter, wenn sie meint, sich nur an einen Status Quo klammern zu müssen, damit alles gut wird. Auch gut, dann verwaltet die halt irgendwie sich selbst, während wir hier schauen, daß der Laden läuft. Vielleicht kommen sie dann irgendwann mal beim Volk vorbei um zu schauen, wie es das eigentlich macht. Früher hab ich mich ja geärgert, wenn die Politiker versucht haben, Dinge, die gut laufen, als ihren Verdienst zu verkaufen (und Dinge die schlecht laufen als Schuld der jeweils anderen Partei). Heute grins ich mir eins und denke "Nehmt mein Geld, aber lasst mich in Ruhe" (oder eben "Überwacht halt mal vor euch hin, so lange ihr nicht zu mir sondern auf irgendwelche Daten guckt, bekommt ihr ja doch nichts relevantes über mich heraus").
von Jens Scholz direct link
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.. jens scholz ..personal news in undefinierter dringlichkeit, wichtigkeit oder thematik .. ein subjektives log als experiment, wie lange dinge, die wichtig erscheinen, es in wirklichkeit bleiben ..
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