Montag, Dezember 21, 2009
Schwellenjahr 2010
Mein Freund, Herr Schirrmacher, hat wieder einen Artikel geschrieben. Diesmal geht es um die im kommenden Jahr einen großen Schritt vorranschreitende Allgegenwärtigkeit des Netzes, die unausweichliche Verschränkung und das zeitgleiche Senden und Empfangen von Nutz- und Privatdaten. Man kann den Artikel gut lesen, er macht eine gute Analyse und zieht zumindest in den technischen Aspekten die richtigen Schlüsse.
In der Interpretation der Auswirkungen auf die Gesellschaft allerdings nervt er mich schon wieder mit diesem öden Alte-Männer-Kulturpessimismus: Die Menschen werden fremdbestimmt, von der Technik versklavt, von den Companies ausgehorcht und durchanalysiert um sie als willige Konsumschafe möglichst effizient in die Shops zu lenken. Yada yada.
Der freie Wille ist in dieser Sicht auf die Welt ein gefährdetes, unschuldiges, filigranes Pflänzchen, das keine Chance gegen die manipulative Intelligenz des bösen Algorythmus hat. Es wird durch Google-Dünger abhängig gemacht, fällt der ihn immer besser antizipierenden Staatsüberwachung anheim und hat dem immer schneller werdenen Echtzeit-Netz nichts mehr entgegenzusetzen.
Allein: So funktioniert der Mensch nicht. So würde er nur dann funktionieren, wäre er eine biologische Maschine. Daß er die nicht ist hat er meiner Meinung schon oft genug bewiesen und er wird es auch in Zukunft zun, denn die Anpassungsfähigkeit des Menschen ist kein passives Erdulden: Sie erwächst nicht aus Gehorsam. Der Mensch passt sich an, indem er die Schlupflöcher findet, die Manipulatoren durchschaut und sie selbst manipuliert. Die wichtigste Antriebskraft des Menschen ist, daß er nicht in die Matrix gepresst werden will - und ich glaube nicht, daß das "Überall-und-Echtzeit-Netz" funktionieren wird, wenn die Nachteile überwiegen.
Menschen haben immer wieder auf die Weise "funktionieren" sollen, wie sie Schirrmacher befürchtet. Ob in Diktaturen, in Fabriken, im Kapitalismus, in Gottesstaaten. Daß das noch nie dauerhaft funktioniert hat spricht für die Menschen. Ein System funktioniert immer nur mit dem Einverständnis der Gesellschaft und die Gesellschaft sind wir, nicht Google, nicht Corporates, nicht Politiker und nicht das Internet. Oder um es noch klarer zu benennen: Das Netz vernetzt uns nicht. Wir vernetzen uns. Und somit haben wir auch die Macht über das Netz und nicht umgekehrt.
Daß es immer wieder schlaue Leute gibt, die trotz ihrer eigentlich guten Analyse dennoch den menschlichen Faktor derart unterschätzen, ist anscheinend nicht vermeidbar.Update Bitte auch hier weiterlesen: Don Dahlmann - Dia Angst vor der Moderne
Labels: internet, schirrmacher
von Jens Scholz direct link 0 Kommentare