Donnerstag, April 19, 2007
Sie werden kriminell und wir sagen Ihnen, wann...*
Malte fragt, woher die Überwachungsmanie des Staates kommt. Da biete ich erstmal Sekundärliteratur von der Bundeszentrale für politische Bildung, die das Modell der staatlichen Überwachung, wie es Foucault beschrieben hat, am kürzesten zusammenfasst:Dem klassischen Souveränitätsmodell, das auf Gesetzen und Sanktionsandrohungen und einer punktuellen Machtausübung beruht, stellt Foucault das Modell der Überwachung gegenüber, das ohne einen physisch greifbaren Souverän auskommt, weil das Verhalten der Menschen durch eine ständig vorhandene Möglichkeit des Überwachtwerdens diszipliniert würde.(...)Laut Foucault wird dieses Modell automatisch erzeugt und zwar schlicht durch die Verfügbarkeit von Überwachungsapparaten und -möglichkeiten (die sich in den letzten 10 Jahren durch Erfassungsgeräte wie z.B Kameras, Speichermöglichkeiten, also Datenbanken und Software zur schnellen, möglichst ad hoc Analyse angesammelt haben) und das Sicherheitsbedürfnis der Politiker. Nicht etwa der Bürger, auch wenn immerein Bürgerwille vorgeschickt wird.
Schäuble hat den Mechanismus, der da arbeitet, heute im Interview in den Tagesthemen schön vorexerziert: Er erklärte, daß in dem Moment, als klar wurde, daß über die vorhandenen Daten des Mautsystems ein Mord aufgeklärt werden könnte, "jeder" gesagt habe, es könne ja nicht sein, daß mit den Daten zwar die Maut abgerechnet würde, aber nicht ein Mörder gefasst werden dürfe. Es ging also dem Politiker in Wirklichkeit um die Gefahr, daß irgendwann der Vorwurf auftauchen könnte, er habe falsch entschieden - nämlich dann, wenn der Mörder nicht gefasst worden wäre. Für einen Innenminister eine inakzeptable Schwäche, der er entgeht, wenn er präventiv die Aufklärung auch mit versperrten Möglichkeiten fordert.
Die vergleichbare Situation gabs mit Bruno dem Bären, der aus denselben Gründen in dem Moment tot war, als die Entscheidung an die Politiker ging.
Das politische System hat also einen imanenten Hang, sich im Zweifelsfall für Kontrolle zu entscheiden, also für die inhumane, unfreie, aber eben sichere, im Moment der Entscheidung risikoärmste Lösung, weil diese am leichtesten vertretbar ist, wenn die Regeln dafür klar sind. Ebenso funktioniert im Zweifelsfall der gesamte Apparat darunter, also die Verwaltung dieses Systems (es gibt denke ich genügend Beispiele für die Ausblendung des Menschen bei Entscheidungen von Finanz-, Sozial-, Jugend- oder Arbeitsämtern). Diese ständigen risikominimierenden Entscheidungen, die ständige Erhöhung der Kontrolle, um politische Konfliktsituationen zu vermeiden, das ist, was sich ab einem Zeitpunkt, in dem die Verhältnismäßigkeit (offensichtlich für die Meisten jetzt) kippt, als diese Manie äußert, nach der Malte fragt.*Matthias Richling als Wolfgang Schäuble im Scheibenwischer. Auch gut: "Da bin ich ganz liberal und demokratisch - wenn überwacht wird, dann Alle!"
Labels: überwachung
von Jens Scholz direct link
Kommentare:
richtig. daher, weil sie eben zuständig für die innere sicherheit sind, fällt das in besonderer weise gerade bei innenministern auf (siehe auch otto schily, bei dem das als "wandlung" vom raf-anwalt zum sicherheits-hardliner ja besonders exemplarisch ist).
Den Politikern geht es - neben dem Abschieben von Verantwortung - um "Pseudo Sicherheit".Kommentar veröffentlichen
Sicherheit ist eine Illusion.