Sonntag, September 20, 2009
An alle die gerade versuchen, Nerds zu verstehen
Das Interesse an Nerds und Geeks ist momentan ja ziemlich hoch. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung widmet ihnen heute sogar einen langen Feuilleton-Artikel (dessen Aussage sich mit der ElRep-Ausgabe von letztens ziemlich deckt - inklusive der Beispiele: Der ElRep-Film kann prima als Hintergrundfilm für den Artikel fungieren. Das aber nur am Rande).
Interessant finde ich darin aber die eher unbeholfenen Versuche, den Menschen-Typus Nerd auf den Vertreter einer Art Anti-Mode einzugrenzen und als weltabgewandtes Kellerkind zu bechreiben. Erstmal gehts natürlich an die Äußerlichkeiten:der klassische Nerd trägt Kopfhörer, während er sich tief über seine Computertastatur beugt und gedankenlos mit der linken Hand nach einem kalten Stück Pizza greift. In "Jurassic Park" war der Typus, gespielt von Wayne Knight, zu besichtigen. (...)Jetzt weiß ich nicht, wie alt der Autor ist (was sich sicher leicht rausgooglen ließe), aber da es zu meiner Schulzeit noch kein Ultima Online gab und die Langhaarigen eher die Rocker und Metaler waren dürfte er jünger sein als ich. Aber ich bin mir ziemlich sicher, daß ich im Rückblick von meinen Mitschülern als waschechter Nerd erkannt werden würde. Und es ist wahr: Ich bin ein Nerd. Einer der sich wundert, daß man mit der Frage, wie Nerds ticken, nicht einfach zu denen kommt, die sie beantworten können. Aber ich will mal nciht so sein und komme nun einfach mal auf euch zu.
Früher konnte man sie in der Schule leicht erkennen: Sie hatten Diplomatenkoffer mit Nummernschloss, dessen Code sie täglich änderten, trugen Pferdeschwanz und schwarze T-Shirts mit "Ultima Online"-Logo.(...)Liebe Nicht-Nerds
Ich bin 40 Jahre alt und ein Nerd. Ich lief im Alter von 15 bis 20 Jahren im Sommer in T-Shirts und im Winter in Sweatshirts herum, dazu normale blaue Jeans und bequeme Schuhe. Ich habe mir diese Klamotten gerne von meinen Eltern kaufen lassen, weil ich dadurch viel Geld sparen konnte.
Auch die Vorteile eines abschließbaren Koffers hatte ich erkannt: Kaffee und Disketten ließen sich damit einfach besser transportieren als in labbrigen Rucksäcken (die von mir heute präferierten Crumplers gabs damals noch nicht).
Worum es nämlich - ob bei Klamotten, der Frisur oder eben dem Koffer, immer ging war: Zweckmäßigkeit. Nie Mode. Ich erinnere mich an kein einziges Label, an keinen Herstellernamen auch nur eines Stücks meiner Klamotten. Ich dachte keinen Moment darüber nach, ob ich irgendwie aussehen wollte, ich dachte noch nicht einmal darüber nach, ob ich irgendwie nicht aussehen wollte. Es war nämlich vor allem eines: Völlig unwichtig.
Wie Nerds aussehen ändert sich daher ständig, denn ihre Bedürfnisse ändern sich auch ständig: Heute muss man nicht mehr 50 Disketten mit sich herumtragen, auch die Menge an Papier (Listings, Zeitschriften, Comics,...) hat sich verringert. Stattdessen gibt es jede Menge mobile Geräte unterzubringen. Insoweit ist es eigentlich verkehrt, auf die Äußerlichkeiten zu schauen und auch ein weiteres Klischeebild gibt es nur im Film: Daß der Nerd schüchtern und unsicher ausgegrenzt von den hippen und modischen Mitschülern herumsitzt und verwirrt vor sich hin stammelt, sobald ihn jemand - und im Besonderen eine Frau - anspricht.
Klar, wir saßen zwar immer etwas abseits, das lag aber weniger daran, daß wir Angst vor Menschen hatten sondern daran, daß wir z.B. in Ruhe lesen oder über ein interessantes Thema reden wollten. Das macht man halt nicht in Gruppen pubertär herumschnatternder Cliquen. Ich habe mich dabei auch nie ausgegrenzt gefühlt. Klar konnten andere eventuell nicht so viel mit den Themen anfangen, die ich toll fand, aber wenn ich mir den Blick von euch Nicht-Nerds auf uns so betrachte, scheint ihr zu glauben, wir hätten darunter gelitten. Haben wir nicht. Wir haben es noch nicht einmal bemerkt, für uns war das eine gegenseitige Toleranz: Wir haben uns nicht für Fußball interessiert, warum also sollte sich jemand mit unseren Interessen beschäftigen, wenn er damit nichts anfangen kann?
Ein weiteres Klischeebild, das ich mit einer Fehlreflektion eurerseits erklären kann ist, daß wir so weltfremd waren daß wir uns versehentlich ständig so schrecklich lächerlich machten, daß ihr euch entweder für uns fremdschämen musstet oder uns augelacht habt. Wie viele Achtziger-Jahre Filme gibt es, in denen den Filmnerds ständig peinliche Missgeschicke passieren über die dann alle lachen? Dieses Klischee vom bedauernswerten fast lebensunfähigen Tolpatsch ist - wie ich meine - eine reine Projektion von Leuten, die sich fragen, wie sie sich wohl an Stelle des Nerds da drüben fühlen würden. Was natürlich nicht geht: Wenn ich als Teenie so sehr Wert auf die aktuelle Mode legen würde und mir dann vorstellte so ein No-Name Shirt mit Star Wars-Aufdruck zu tragen wäre mir das peinlich und ich hoffte, daß mich so bloß keiner sieht. Wir fanden das Shirt aber prima und somit war uns auch nichts daran jemals peinlich.
In Wirklichkeit war es umgekehrt: Wir haben unsere Mitschüler bedauert, die sich ständig an Äußerlichkeiten maßen und einen schrecklichen Stress damit hatten, daß ihnen nur kein modischer Faux Pas passierte. Wir Nerds hatten kein Problem damit, daß ihr uns peinlich fandet, die ihr im Diktat einer sich ständig ändernden Mode all euer Geld für Klamotten ausgeben musstet. Hey, ich konnte eine Jeans so lange anziehen, wie sie gepasst hat. Meine Mitschüler nur so lange wie sie modern war. Was mir wesentlich mehr Geld für wichtige Dinge übrig gelassen hat (und zugegebenermaßen meistens vor allem irgendwas mit Computern zu tun hatte). Was denkt ihr, wenn ihr Fotos von früher anschaut? Würdet ihr die ins Internet stellen und darüber lachen?
Daß sich da bei euch ein schiefes Bild von uns festgesetzt hat, das sich bis heute wenig geändert und es bis ins Feuilleton der FAS geschafft hat ist vielleicht aus genau solchen Projektionen und daraus folgenden Missverständnissen zu erklären, denn man kann das recht einfach ausweiten:
Nerds interessieren sich nicht für Frauen, sind ihnen gegenüber gehemmt und überhaupt ziemlich asexuell. Diese Sicht der Dinge wird am Beispiel der Freundin von Bill Gates Mutter offenbar oder an Sätzen wie "Die Nerds, die die Sprites auf ihrem C-64-Homecomputer programmierten, während ihre Mitschüler in Clubs oder auf Demos waren..." und "Nerds, heißt es, haben es in der Pubertät etwas schwerer als die Raver, eine Freundin zu finden...".
Die Wahrheit ist: Wir Nerds haben uns lediglich euren Gruppendynamiken entzogen. Es ging euch doch in Clubs und Disco überhaupt nicht darum, "eine Freundin zu finden", sondern um euren Status: Eure Freundin oder Freund war ein Statussymbol. Ihr kämpftet ständig um das jeweils bessere Exemplar und auch wie mit den Klamotten galt doch, daß eine Teeniebeziehung nur so lange hielt wie es die Mode erlaubte und es cool war mit genau dieser Person zusammen gesehen zu werden. Wenn also ihr Nicht-Nerds vielleicht ein wenig genauer überlegen würden und ihr euch mal richtig anstrengen würdet, euch daran zu erinnern wie es tatsächlich gewesen ist:
Hatten wir wirklich keine Freundinnen? Oder war es vielleicht nicht eher so, daß wir "richtige" Freundinnen hatten, also mit Mädchen und Frauen abhingen, mit denen wir lange Gespräche führen konnten und uns auf gleicher Augenhöhe austauschten, deren Probleme wir uns mit echtem Interesse anhörten und die uns dafür ihrerseits Ernst genommen haben? War es nicht vielleicht sogar so, daß wir am Ende sogar mit genau den Frauen zusammen waren, die jeder am coolsten fand, weil sie nicht nur klasse aussahen sondern auch klüger, individualistischer und viel selbständiger waren als diese rosa Plüschtussen? Mit denen, die die vermeintlichen Alphamännchen abblitzen ließen weil sie deren Machomasche kindisch fanden?
Nerds lernen ihre Frendinnen langsam kennen - alle paar Wochen ne Neue interessierte uns nicht, vielleicht ist das Radiobeispiel gar nicht so schlecht: Wir haben unsere Freundinnen zwar nicht "auseinandergebaut", aber wir wollten sie so genau wie möglich kennen lernen und alles über sie wissen, wir liebten es, uns von ihnen faszinieren zu lassen. Wir trafen uns nach der Schule, in gemütlichen Cafés oder gleich bei ihr oder uns zu Hause, denn im Gegensatz zu anderen waren unsere Zimmer im Keller oder Dachboden fast ein eigenes Appartement abgetrennt und unsere Eltern vertrauten uns so sehr, daß jeglicher Besuch auch jedezeit übernachten konnte. Wir redeten viel und lange. Länger als unsere Altersgenossen in der Disco abhingen, oft und regelmäßig so lange bis die Sonne aufging. Wir wußten mit 20 Jahren wahrscheinlich wesentlich mehr darüber, was Frauen bewegt und interessiert als ihr. Auch über Sex, Fortpflanzung und Verhütung wußten wir Nerds übrigens Jahre früher Bescheid als ihr.
Es gibt daher überhaupt keinen Grund, uns zu bedauern. Wir kamen und kommen besser zurecht als ihr. Daß wir nicht in Mode sind heißt nicht, daß wir allein im Keller sitzen.
Daher, liebe Nicht-Nerds, muss ich es euch vielleicht einfach mal schonungslos ehrlich sagen: Den extrem begrenzten Horizont den ihr bei uns vermutet habt in Wahrheit ihr. Die Welt in der ihr lebt ist viel kleiner als unser Kellerzimmer. Die vielen Ängste und Zwänge, in und mit denen ihr lebt sind die Matrix, in der wir uns freier bewegen können, weil wir sie als ein weiteres Regelwerk eines Rollenspiel betrachten können. Und niemand kann darin besser schummeln und die Regeln einfach ändern als wir. Daß z.B. eine Piratenpartei gerade die Regeln für die politische Willensbildung neu definiert ist somit weder überraschend noch braucht ihr - je nach Gusto - hoffen oder befürchten, daß das ein Strohfeuer ist. Hier stimmt die Analyse:(...) sie sind Individualisten, die dank der digitalen Technologie die größte Vernetzungsstufe der Menschheitsgeschichte möglich gemacht haben: Vernetzung einzelner Subjekte, die ihren Charakter und ihre Individualität bewahren können, nicht nach ihrem Äußeren beurteilt werden, nicht nach ihrem Geschlecht, nicht nach ihrem Diplomatenkoffer oder ihrer Jute-Tasche. Die Organisation ist so geschlechtsneutral, wie es das Internet ist. Das erklärt, wieso sie politisch geweckt wurden, als die Grundregeln bedroht zu sein schienen.Labels: nerdkram
von Jens Scholz direct link 111 Kommentare
Sonntag, Oktober 21, 2007
Und ich finds immer noch gut
Das hier hab ich damals irgendwann Anfang der Achtziger im Fernsehen gesehen und war völlig begeistert. Es gab aber damals keine Plattenaufnahme davon oder meine Eltern haben in weiser Vorraussicht, was eine solche ihrem Nervenkostüm antun könnte einfach behauptet, es gäbe keine.
Auch beim Wiedersehen nach 25 Jahren gefällt es mir immer noch, wesentlich besser als die damals viel populärere Discoversion.
(via Anke)
von Jens Scholz direct link 10 Kommentare
Freitag, Oktober 05, 2007
Nerds to rule the world
Ich quatsche und blogge meine Kollegen gerne und lange mit Themen voll, in denen es am Ende immer auf das "Öffnen von Schnittstellen" (ich nenns mal ÖvS im weiteren Verlaufe dieses Artikels, da ich jetzt noch nicht weiß wie lang der noch wird und wir wollen ja alle bis zum Abendessen zu Hause sein) hinausläuft.
ÖvS (r) ist, im Gegensatz zu sehr vielen Consultingstandardvorschlägen, die im Ende nur aufs Nutzer "binden" wollen hinauslaufen - was wie ich mal anmerken darf völliger Unsinn hier im Internet ist - , meiner Meinung nach die einzige sichere Methode, einen Service im Internet wirklich nachhaltig erfolgreich zu machen. Oder der Benchmark zu werden, ums in Managersprech zu formulieren.
Leider ist ÖvS (r), ich denke vor allem aus dem schon erwähnten Irrglauben an die Möglichkeit zur "Bindung" von Internetnutzern und der darauf folgenden Angst, jemand anderes könnte ja dann mit "meinen" Daten (nächster Irrglaube: Die Daten gehören in erster Linie den Nutzern) was eigenes machen und statt meiner reich werden, nicht sonderlich verbreitet in den Strategieworkshops der Webzwonull-Startups. Wahrscheinlich, weil da das fehlt, was das Internet zum Brummen gebracht hat: Eine gute Portion Nerdigkeit.
Internetnerds nämlich sind diejenigen, die die funktionierenden Services und Ideen ins Netz gebaut haben. Da gehört Google dazu, YouTube, das alte(!) Flickr, all die Dienste, die Schnittstellen haben, die man Mashuppen kann, die man an der Metaebene anfassen kann. Die Metaebene nämlich ist, was das Internet groß gemacht hat: Die Ebene, in der alles vernetzt werden kann, in der es keine Abgrenzungen mehr gibt und in der jeder Nutzer zum Nutzen beiträgt (Eins meiner Lieblingssprüche ist übrigens Im Internet heißt man "User", überall sonst nur "Consumer").
Internetnerds fragen sich nämlich solche Dinge wiewie kann es sein, dass für so etwas wichtiges wie die bestimmung des geographishen orts an dem ich mich befinde kein standardisiertes verfahren besteht um ihn herauszufinden? warum sind die bereits existierenden dienste völlig inkompatibel miteinander, warum öffnen sie zur ortsbestimmung und für den datenaustausch nicht ihre schnittstellen?und nicht "Wie mach ich meinen wasweißicho-Klon profitabel?". Der Witz ist, daß die Profitabilität kommt, wenn die eigentlich viel wichtigere Frage beantwortet ist: "Wie kann ich im Internet was zur Verfügung stellen, das man dort wirklich brauchen kann?". Aber dann müßte man ja auf die Nerds hören und *schluck* eventuell *schwitz* auch noch *räusper* Ernst nehmen.
Das schöne ist, wie Felix und ich am Samstag beim Cocktail trinken festgestellt haben, daß man uns Internetnerds - zuweilen mit großer Bewunderung, zuweilen zähneknirschend und mit Verachtung - immer brauchen wird. Wir latschen hier durchs Netz wie durch unser Wohnzimmer, werden von Leuten insgeheim bewundert, die "der Blog" schreiben und nicht verstehen, was wir richtig und sie falsch machen und werden nie arbeitslos, solange es das Internet in der Form gibt, wie es erfunden wurde: Als freies, grenzenloses Netzwerk zum Austausch von Informationen.Labels: internet, Laberflash, nerdkram
von Jens Scholz direct link 4 Kommentare