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Mittwoch, April 22, 2009

Der 22.4.2009 ist der Tag, an dem der Graubereich verlassen wurde
und in Deutschland der erste entscheidende Schritt unternommen wurde, um ein funktionierendes Zensursystem einzuführen.
Ich bin kein Freund von markigen Worten. Die werden mir zu schnell zu Phrasen und wirken zu gerne mal hysterisch. Aber heute ist tatsächlich ein merkenswerter Tag, denn wenn wir tatsächlich einmal vor der Situation stehen werden, daß uns jemand fragt "Habt ihr das wirklich nicht bemerkt?" müßten wir antworten "Doch, der erste Schritt war die Einführung von Zensur und die Aufhebung der Gewaltenteilung durch ein Gesetz, das Ende April 2009 vorgestellt wurde." Die Antwort auf die unweigerliche Folgefrage "Und was habt ihr dagegen getan?" würde ich gerne beantworten können ohne mich dabei schämen zu müssen. Am liebsten wäre mir, wenn ich antworten könnte "Verhindert, daß das Gesetz umgesetzt wurde."
Das Problem ist wie so oft nicht, daß Politiker böses im Sinn haben. Dieses Mal ist es eine Melange aus einer einerseits desinformierten Karrieristen-Seilschaft und der für rollende Politikerzüge typischen wirklichkeitsfernen Starrsinnigkeit, die jegliche Warnungen, Hinweise und Proteste ignoriert. Das zu wissen nutzt leider jedoch gar nichts, denn die Frage ist natürlich was passiert, wenn mal eine politische Kraft tatsächlich böses im Sinn hat und einen Staat in die Hände bekommt, der mit einem Zensursystem den Zugang zu Informationen "regulieren" kann, wie das ja jetzt schon z.B. Dieter Gorny gerne mal in feinstem Neusprech fordert.
Was also tun? Zuerst einmal natürlich dokumentieren. Etwas, was ja Dank des Internets sehr gut funktioniert und achon jetzt ist der Unterschied der Qualität der Argumentation so offensichtlich und (durchaus mit dem Bewusstsein, daß diese Wahrnehmung in der Breite der Bevölkerung sicher nicht so klar ist wie in unserer eigenen) wie sie es zu Zeiten von Flublättern und kritschen Zeitungen mit Mindestauflagen nie möglich gewesen wäre. Medien enehmen diese Dokumentation und Analysen auf, wenngleich man sich schon wundern muss, wie wenig Druck sie macht und ihren Selbstanspruch als "vierte Macht" mit unreflektierter Propagandaweitergabe (hier eine Antwort darauf) verspielt.
Dann muss man sicherlich in der persönlichen Nutzung des Internets reagieren: Schon allein weil man ja gar nicht weiß, was alles auf der Zensurliste landen wird und weil es durch die Meldung der Stopseiten-Aufrufe viel zu einfach ist, versehentlich verdächtig zu werden stellt man besser seinen Nameservereitrag auf einen freien DNS-Dienst um. Und auch unversierte Internetnutzer sollten versuchen, ihr technisches Verständnis ein wenig hochzurüsten und zu lernen, wie Proxys, Anonymisierungsdienste und Verschlüsselungen funktionieren und eingesetzt werden kann. Das Internet ist dazu gemacht, um selbst bei einem Atomkrieg Informationen von A nach B zu schaffen. In Ländern, die schon eine wesentlich üblere Zensurstruktur haben, weiß man auch, wie man diese umgehen kann. Es ist letzlich nicht möglich, hier wirklich mit Zensur Erfolg zu haben, da die technisch versierteren Menschen nicht an der Zensur arbeiten sondern gegen sie.
Drittens: Langfristig tätig werden. Vielleicht auch politisch tätig werden. Die Themen in den Meatspace tragen. Wer sich gestern fragte ob Internetproteste überhaupt etwas bringen (was im Grunde dieselbe Frage ist wie ob Demos etwas bringen) oder Diskussionen auf irgendwelchen Chatdiensten dem kann man antworten "Ja natürlich, wenn das nicht alles bleibt.". Die Piratenpartei hat gestern wahrscheinlich den größten Zulauf ihrer Geschichte bekommen (Auch ich werde mich jetzt übrigens um den Eintritt dort kümmern). Die Verdrossenheit weicht sichtbar einer qualitativen Politisierung schon alleine in meiner direkten Umgebung. Ich denke nicht, daß das eine Ausnahme ist.

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von Jens Scholz   direct link     
 

Kommentare:

Zunächst mal: ich denke, das geringste Problem ist, wenn totalitäre Kräfte ans Ruder kommen sollten, das bereits Zensursysteme existieren, die asap genutzt werden können. Wenn solche Kräfte tatsächlich die Macht erhalten, dann werden die entsprechenden Tools und Einrichtugen eben schnell geschaffen. Die Gestapo gab es ja auch nicht in der Weimarer Republik.

Das größere Problem sehe ich (und ich denke du auch), in der Gewöhnung. Siehe UK: die zunehmende Totalüberwachung öffentlicher Räume wird Teil deines Alltags, bis du die Kameras selbst dann nicht mehr wahrnimmst, auch wenn du direkt davor stehst. Und dein öffentliches Auftreten bewußt oder unbewußt dahingehend ausrichtest, eben öffentlich nicht "irgendwie verdächtig" zu wirken. Desgleichen das Verhalten beim Umgang mit dem Internet.

Politisch aktiv werden ist nie schlecht (schließlich ist das ja das Benzin der Demokratie), aber da halte ich die Piratenpartei für eine nette Protestplattform, um die Sachlage ins öffentliche Bewußtsein zu rücken, mehr aber auch nicht (allein der Name - als Gag OK, aber wenn man Ernst genommen werden will, braucht es schon was anderes; Atac, Greenpeace, Sheperds of the Sea, Peta, etc :)

Der Sachverstand in den "etablierten" politischen Parteien kommt ja letztendlich nur von den dort mitwirkenden Sachverständigen (Tauss als trauriges Beispiel); wenn dort Luschen das sagen haben, kommen solche Gesetze eben bei raus. Ziel sollte sein, dort anzusetzen; uuuund OK, das schreckt mich auch ab in SPD (örgs), CDU (brrr) oder FDP (huaaaahh), selbst Grüne (oioioi), einzutreten. Allerdings ist auch hier das Klischee stärker als die Realität.
Ein Freund von mir tat vor 7 Jahren genau diesen Schritt und trat der CDU bei, um sich dort einzubringen. Man muss nun seine politischen Ansichten nicht teilen, aber wenigstens hat er aktiv versucht, auf Kommunal- und Landespolitik Einfluss zu nehmen. Und das was er mir bisher berichtete, war wesentlich sdachlicher und unaufgeregter, als uns das Klischee dumpfbackiger Hinterwaldpolitiker glauben machen will. :-P

Uff, langer Text; demnächst fange ich auch noch an zu bloggen, oder was (hihi).
 
Das mit der Idee, den Sachverstand in etablierte Parteien zu bringen ist ja ncht neu. Wenn das jemand gut hinbekommt finde ich auch, daß das ein guter Weg ist. Meiner ist es nicht, weil ich nicht wirklich an dieses etablierte Rarteiensystem glaube und meine, daß Parteien, die sich auf klare Themen spezialisieren und sich darin auch wirklich auskennen, langfristig mehr erreichen werden - im Prinzip ist das nur eine Fortführung der Entwicklung in den Medien, der Kultur und anderen gesellschaftlichen Gruppen (die ja zu den Spezialgruppierungen wie attac, SoS, Peta usw führt die Du ja auch erwähntest).
Ich sehe in den Piraten keine Volkspartei sondern ähnlich, wie die Grünen mal anfingen. Die wurden auch gewählt obwohl/weil(!) sie eben nicht mit Anzug und Kravatte in Landtage und Bundestag einzogen sondern ihren Stiefel durchzogen und ihre Fachgebiete beherrschten.
Ich mag diesen Allvertretungsanspruch der Volksparteien nicht. Er sorgt dafür, daß bei Themen, in denen dich ihre Politiker nicht auskennen nur schlecht, falsch oder gar rein ideologisch entschieden wird. Ich finde ideologische Denkvorgaben, wie sie die etablierten Parteien vertreten und die auch dafür verantwortlich sind, daß kein konstruktives Zusammenarbeiten möglich ist, generell schädlich und undemokratisch. Witzigerweise sind diese Parteien ja gerne sofort bereit z.B. islamistische Parteien zu verurteilen, im Prinzip ist das aber ja nicht wirklich was anderes, nur weil der Grad der Estremisierung der Ideologie ein größerer ist.
Naja, was ich sagen will: Es gibt genügend Möglichkeiten, sich zu beteiligen. Sei es in Verbänden und Aktionen wie Greenpeace, AI, Peta usw., sei es als kontruktive Verstärkung der etablierten Parteien (an deren Erfolg ich persönlich allerdings nicht glaube) oder durch die Unterstützung von ganz neuen Parteikonzepten. Hauptsache, man tut es.
 
Ich finde fast alles richtig, was Du schreibst. Nur, wieso glaubst Du, daß die Politiker "nichts Böses wollen". Ich glaube genau das, und daß Merkel sich solche Grinseclowns wie Graf Wilhelm und die Laiin ins Kabinett holt, um eine harte antisoziale Politik als pure Menschenfreundlichkeit zu verkaufen.
OK, auf die meisten SPD-Leute mag deine Aussage zutreffen, die sind wirklich so blöd wie sie tun. War schon in Weimar so. Und am Ende saßen sie mit im KZ.
 
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